Wie ein Algorithmus von Fraunhofer Austria die Beladung von Tunnelofenwagen bei RHI Magnesita planen kann
RHI Magnesita produziert Feuerfeststeine in höchster Qualität. In der teilautomatisierten Produktionsstraße in Radenthein in Kärnten beladen Robotersysteme die Tunnelofenwägen mit den bestellten Steinen, die dann langsam durch den Tunnelofen gefahren werden. Damit die Steine ihre gewünschten Materialeigenschaften erhalten, müssen sie unter exakt definierten Temperaturen „gebacken“ werden. Die Planung, welcher Stein dabei wo und in welcher Ausrichtung positioniert werden muss, ist allerdings eine komplexe Aufgabe, die auch für erfahrenes Personal durchaus anspruchsvoll und zeitaufwändig ist und bis jetzt nicht automatisiert werden konnte. Eine gute Luftzirkulation muss gewährleistet sein, kein Stein darf andere Steine zu sehr verdecken, gleichzeitig soll der Wagen natürlich so voll wie möglich beladen werden – im Sinne der Effizienz und der Ressourcenschonung. Dass es möglich ist, einen Algorithmus zu programmieren, der imstande ist, valide Planungslösungen für diese Aufgabenstellung zu finden, hat nun ein Forschungsteam von Fraunhofer Austria bewiesen.
„Das Planungsproblem, mit dem wir uns hier beschäftigt haben, hat viele Rahmenbedingungen, die beachtet werden müssen. Die Steine haben diverseste Geometrien, Formen und Größen und müssen möglichst effizient geschlichtet werden, um das Besatzgewicht nach oben zu bringen und die Nutzung der Ressourcen zu optimieren. Die Anordnung muss dabei aber natürlich auch so stabil sein, dass die Fahrt mit dem Tunnelofenwagen kein Problem darstellt.“, erklärt René Berndt von Fraunhofer Austria die Aufgabenstellung. „Gleichzeitig gibt es neben dem Besatzgewicht und der möglichst optimalen Schlichtung weitere zu berücksichtigende Optimierungskriterien. Die Liefertreue ist hierbei ein wichtiges Thema: alle Steine, die bestellt wurden, sollten möglichst termingerecht fertig werden, was teilweise im Widerspruch zur optimalen Schlichtung steht, da manche Steintypen besser und andere schlechter zueinander passen“, ergänzt Erich Teppan, Projektleiter bei Fraunhofer Austria.
20 Formen und Größen
Aus der Vielzahl der erhältlichen Produktvarianten zogen die Forscherinnen und Forscher etwa 20 repräsentative Steintypen mit unterschiedlichen Geometrien und Größen für ihre Machbarkeitsstudie heran. Ihr Ziel: ein Algorithmus, der zügig zu einer guten Lösung für diese industrielle „Tetris“-Fragestellung gelangt.
„Eine der Herausforderung bei dieser Aufgabenstellung ist das exponentielle Laufzeitverhalten, welches die Suche nach der optimalen Lösung im worst-case besitzt“, erklärt Giacomo Da Col von Fraunhofer Austria. „Mit jedem weiteren Stein, den man einer konkreten Planungsaufgabe hinzufügt, vervielfacht sich die Rechenzeit. Eine erstbeste Lösung zu generieren ist zwar auch immer in kurzer Zeit möglich, aber um eine wirklich gute Lösung zu finden, muss der Computer im schlimmsten Fall sehr viele Möglichkeiten überprüfen, wofür in der Realität oft zu wenig Zeit ist.“ Schlussendlich überwand das Forschungsteam die Herausforderungen mit Hilfe einer Heuristik, die den Suchalgorithmus so steuert, dass er die aussichtsreicheren Lösungsmöglichkeiten zuerst überprüft, sodass auch nahe-optimale Lösungen schon in relativ kurzer Zeit gefunden werden. Der Prototyp der Planungssoftware ist nun fertig entwickelt und wurde beim erfolgreichen Projektabschluss im April an RHI Magnesita übergeben.
Interaktiv und in 3D
Die Lösungen, die der Algorithmus für die vorgegebene Aufgabenstellung findet, werden von der Software aber nicht einfach nur in Form einer Datei ausgegeben. Auch für die Präsentation der Ergebnisse kam die Expertise der Fraunhofer-Forschenden noch einmal zum Einsatz. Die Expertinnen und Experten für Computergrafik und Datenvisualisierung erstellten eine interaktive, klickbare 3D-Visualisierung, die das Überprüfen der Lösung nun möglichst unkompliziert gestaltet. Denn vorerst soll der Mensch die Entscheidung, ob die von der Software vorgeschlagene Lösung angenommen werden soll oder nicht, treffen. Die Computergestützte Lösungsberechnung dient dabei als vorbereitende Entscheidungsunterstützung. Solch eine semiautomatisierte Lösung ist laut dem Forschungsteam ideal, denn, so erklärt Teppan: „Das Überprüfen einer fertigen Lösung geht schnell und kann leicht von einem Menschen gemacht werden. Beim Erstellen guter Lösungen kann der Computer seine Stärken ausspielen. Andererseits ist der Mensch sehr oft in der Lage mit unvorhergesehen Ausnahmefällen umzugehen, welche vom Algorithmus (noch) nicht mit einberechnet werden.“
„Beispielsweise gibt es Steine, die nicht direkt am Boden des Tunnelwagens liegen dürfen, sondern nur auf anderen Steinen. Ist aber nur noch dieser Steintyp laut Auftragslage zu fertigen, findet ein Algorithmus von sich aus keine Lösung, sofern dieser seltene Spezialfall nicht explizit berücksichtigt wurde. Spezialfälle, an welche niemand gedacht hat, kann es immer geben. Ein Mensch hingegen, kann sich im gegebenen Beispielfall entscheiden, einige Exemplare eines anderen Steintyps zusätzlich on stock zu produzieren und somit die gegebene Aufgabenstellung adaptieren, um das Problem pragmatisch zu lösen.“ ergänzt Berndt.
Im nächsten Schritt wollen die Forscherinnen und Forscher qualitative Vergleiche zwischen den von ihrem Algorithmus und den von erfahrenen Planerinnen und Planern gefundenen Lösungen anstellen und die Performanz ihres Algorithmus mit einer größeren Auswahl an Steintypen testen. Ein Folgeprojekt zu dieser Fragestellung ist bereits im Gespräch.